Wanderungen und Expeditionen in den europäischen Gebirgen zählen zu den intensivsten Naturerfahrungen, die man machen kann – ob im Hochgebirge der Alpen, den abgelegenen Tälern der Karpaten oder den wilden Hochebenen Skandinaviens. Wer solche Reisen unternimmt, sollte sich jedoch nicht nur körperlich und organisatorisch gut vorbereiten, sondern auch die ökologischen Auswirkungen mitdenken. Denn draußen unterwegs zu sein bedeutet mehr als nur Bewegung in der Natur – es bedeutet, Verantwortung für sie zu übernehmen.
Nachhaltigkeit fängt lange vor dem ersten Schritt auf dem Wanderweg an. Die folgenden Tipps zeigen, wie sich Expeditionen in Europa bewusst, umweltschonend und zukunftsfähig gestalten lassen – von der Planung über die Ausrüstung bis zur Durchführung.
1. Realistisches und verantwortungsbewusstes Ziel wählen
Ein gutes Expeditionsziel fordert, ohne zu überfordern – körperlich wie logistisch. Doch auch die Frage nach der Erreichbarkeit und Umweltverträglichkeit spielt eine wichtige Rolle. Muss es wirklich ein Ziel mit Flugzeuganreise sein? Oder gibt es vergleichbare Herausforderungen in Regionen, die klimafreundlich mit der Bahn oder dem öffentlichen Nahverkehr erreichbar sind?
Tipp:
- Wählen Sie Routen mit guter ÖV-Anbindung (z. B. Hohe Tauern, Berner Oberland, Vanoise-Nationalpark).
- Bevorzugen Sie wenig frequentierte Regionen, um Orte, die vom Massentourismus betroffen sind, zu entlasten und neue Perspektiven zu entdecken.
Die richtigen Ziele brauchen gründliche und ehrliche Einschätzungen. Informieren Sie sich über den Routenverlauf, das Gelände, die Höhenmeter, mögliche Gefahren und die klimatischen Bedingungen, um einzuschätzen, ob das Expeditionsziel infrage kommt. Egal, ob Sie den Mont Blanc erklimmen, das Matterhorn besteigen oder eine Expedition auf den Elbrus unternehmen möchten: Eine ehrliche Selbsteinschätzung ist entscheidend, um das passende Ziel auszuwählen. Manche Agenturen bieten auch eine persönliche Beratung an, um bei der Routenplanung die richtige Entscheidung zu treffen.
Wichtig für jede Tour: Planen Sie sorgfältig und schätzen Sie die Route realistisch ein.
2. Nachhaltige Anreise, Unterkünfte und Reiseplanung bei Expeditionen
Die Anreise ist häufig der größte CO₂-Verursacher einer Expedition. Wer auf Flugreisen verzichtet und stattdessen Nachtzüge, Fernbusse oder Fahrgemeinschaften nutzt, spart nicht nur Emissionen, sondern startet auch deutlich entspannter in das Abenteuer. Auch bei der Unterkunft lässt sich viel bewirken: Nachhaltige Optionen wie Öko-Gasthäuser, zertifizierte umweltfreundliche Hotels oder naturnahe Unterkünfte sind sinnvolle Alternativen zu Massenunterkünften. Zelten oder die Nutzung einfacher Hütten verbrauchen zudem deutlich weniger Ressourcen als große Hotelanlagen – und ermöglichen ein unmittelbares Naturerlebnis.
Tipp:
- Einige Regionen bieten Kombitickets aus Zuganreise + Bergbahn + Unterkunft zu vergünstigten Preisen an.
Hütte statt Hotel: nachhaltig, naturnah und wunderschön.
3. Nachhaltige Ausrüstung: Weniger ist mehr – und besser
Bei Expeditionen in Europa müssen Sie sich auf wechselhafte Witterungsbedingungen, unwegsames Gelände und mitunter eine begrenzte Verfügbarkeit von Ausrüstung vor Ort einstellen. Deshalb ist es besonders wichtig, die richtige Ausrüstung mitzunehmen. Setzen Sie auf eine nachhaltige Packliste und nehmen Sie nur das Nötigste mit – der Umwelt und Ihrem Rücken zuliebe.
Eine gute Expeditionsausrüstung muss nicht neu sein – sie muss passen, langlebig und reparierbar sein. Hochwertige Produkte aus recycelten oder natürlichen Materialien sind langfristig oft sogar kostengünstiger.
Ausrüstungstipps mit Nachhaltigkeitsfaktor:
- Hochwertige Outdoor-Kleidung aus nachhaltigen und recycelten Materialien, gefertigt unter fairen Bedingungen.
- Rucksäcke, Zelte und Schlafsäcke, die reparierbar sind und kein PFC enthalten.
- Wiederverwendbares Geschirr, Edelstahlboxen und -flaschen statt Einwegplastik.
- Feste Naturkosmetikprodukte (Seife, Shampoo, Deo), verpackt in Papier oder Blechdosen.
Extra-Tipp: Viele Outdoor-Shops bieten mittlerweile Leih- oder Gebrauchtangebote an – besonders für Ausrüstung, die nur selten zum Einsatz kommt (z. B. Steigeisen, Schneeschuhe, GPS-Geräte).
Praktisch für unterwegs: Spork und Brotbox mitnehmen (Bild: ECO Brotbox)
4. Trinkwasser unterwegs – Planung, Qualität und nachhaltige Lösungen
Gerade in abgelegenen Bergregionen ist die Versorgung mit sauberem Trinkwasser ein zentraler Punkt der Expeditionsplanung – sowohl für die Sicherheit als auch im Hinblick auf Nachhaltigkeit. Wer unterwegs ausreichend hydriert bleiben möchte, sollte genügend Wasser am Tag trinken und die Wasserfrage nicht dem Zufall überlassen.
Wie viel Wasser braucht man unterwegs?
Je nach Aktivitätsgrad, Außentemperatur und Höhe variiert der Tagesbedarf. Faustregel: Mindestens 3 bis 4 Liter Wasser pro Tag, bei Hitze oder starker körperlicher Belastung entsprechend mehr.
Wasserquellen vor Ort recherchieren
Nicht jede Quelle ist trinkbar – auch wenn sie klar erscheint. Vor der Expedition sollte man:
- Topografische Karten und Tourenbeschreibungen nutzen, um Wasserstellen einzuzeichnen.
- Auf aktuelle lokale Informationen achten (z. B. Wildtierbewegungen, Almbetrieb, Niederschlag).
- In Nationalparks oder Schutzgebieten ggf. Ranger oder Hüttenpersonal befragen.
Wasser ist Leben – und überlebenswichtig (Bild: Misu)
Welche Wasserfilter oder -aufbereitungssysteme wählen?
Zur sicheren Wasseraufbereitung unterwegs gibt es verschiedene Systeme, je nach Situation und persönlichen Vorlieben. Mechanische Wasserfilter – etwa aus Keramik oder mit Hohlfasermembranen – gelten als besonders nachhaltig, da sie ohne Strom oder Chemikalien auskommen, langlebig und oft reparierbar sind. Sie entfernen zuverlässig Bakterien und Sedimente und eignen sich ideal für klares, fließendes Bergwasser. UV-Sticks zerstören Viren und Bakterien per Lichtimpuls, benötigen jedoch Batterien und setzen eine gewisse Wasserqualität voraus. Chlor- oder Silbertabletten sind leicht und günstig, verändern aber den Geschmack und erzeugen chemische Rückstände.
Die richtige Trinkflasche: robust, wiederverwendbar und schadstofffrei
Nachhaltigkeit bedeutet auch, Plastik zu vermeiden – ohne auf Funktionalität zu verzichten.
Empfehlenswerte Trinkflaschen für unterwegs:
-
Nachhaltige Trinkflaschen aus Edelstahl – robust, geschmacksneutral und langlebig
-
Faltbare Trinksysteme – besonders platzsparend und leicht zu verstauen
Tipp: Einige Modelle verfügen über integrierte Filter – ideal für die direkte Wasseraufnahme aus natürlichen Quellen.
Passende Trinkflaschen für unterwegs mitnehmen (Bild: Soulbottles)
5. Zero Waste & Leave No Trace – bereits in der Planung mitdenken
Nachhaltigkeit bedeutet nicht nur, Müll zu vermeiden, sondern auch, keine Spuren zu hinterlassen. Die Leave No Trace-Prinzipien bieten eine gute Grundlage, um Expeditionen möglichst naturschonend zu gestalten.
Bereits bei der Vorbereitung beachten:
- Essen in wiederverwendbaren Behältern mitnehmen (z. B. Stoffbeutel, Edelstahlboxen).
- Snacks zum Wandern wie Müsliriegel selbst herstellen – spart Plastikmüll und ist gesünder.
- Biologisch abbaubare Hygieneprodukte nach den strengsten Naturkosmetikkriterien mitnehmen – besonders wichtig bei Biwaknächten. Ob Zahnpasta, Shampoo oder Seife – herkömmliche Produkte enthalten noch allzu oft schädliche Chemikalien und Mikroplastik – ungesund für Sie sowie für Natur und Umwelt.
- Einen Müllbeutel fest in die Ausrüstung integrieren – auch für unterwegs gefundenen Müll.
- Routenführung so planen, dass sensible Lebensräume nicht gestört werden (z. B. Brutgebiete oder Wildruhezonen).
Der Natur zuliebe: keine Spuren hinterlassen, Müll vermeiden, Zero Waste Produkte und Naturkosmetik nutzen.
6. Nachhaltig trainieren und vorbereiten für Expeditionen
Auch die körperliche Vorbereitung lässt sich ressourcenschonend gestalten. Wer in der Umgebung trainiert, spart sich weite Anfahrten. Lokale Wander- und Klettergebiete bieten eine gute Trainingsumgebung – oft mit naturnahen Bedingungen.
Nachhaltige Vorbereitungstipps:
- Bergtraining in der Nähe (z. B. Mittelgebirge, Hügellandschaften, Waldgebiete).
- Fahrrad statt Auto zu Trainingstouren nutzen.
- Mitglied in einem lokalen Alpenverein werden – viele bieten umweltbewusste Touren und Schulungen an.
- Gemeinschaftliches Training (Fahrgemeinschaften, Material teilen).
- An Ausrüstungs-Workshops teilnehmen, um Reparatur- und Pflegekenntnisse zu vertiefen.
Nahreisen sind umweltfreundlicher – suchen Sie Bergtrainings in Ihrer Nähe.
7. Naturverbunden unterwegs sein – hat (k)einen Haken
Wer sich auf Expedition begibt, ist nicht nur Sportler*in, sondern auch Gast in einem sensiblen Ökosystem. Naturverbunden unterwegs zu sein bedeutet, sich respektvoll zu verhalten: keine Spuren zu hinterlassen, Tiere nicht zu stören und die Landschaft nicht zu verändern – weder mit Lärm noch mit Ausrüstung.
Ein eindrückliches Beispiel dafür ist die Geschichte von Yvon Chouinard, dem Gründer des Outdoor-Unternehmens Patagonia. Er begann als Kletterer in den 1960er-Jahren, eigene Stahlhaken herzustellen – sogenannte Pitons, die in Felsen eingeschlagen wurden. Doch je mehr Kletter*innen diese nutzten, desto mehr dauerhafte Schäden entstanden an der Felsstruktur.
Statt den Sport über die Natur zu stellen, entwickelte Chouinard gemeinsam mit anderen die Idee des „Clean Climbing“: herausnehmbare Sicherungen wie Keile und Friends, die keine Spuren hinterlassen. Diese Entscheidung war der Anfang einer neuen Outdoor-Ethik – und die Geburtsstunde des Unternehmens. Die Botschaft: Naturverbunden unterwegs zu sein ist ein Commitment, das unsere Werte mit unseren Zielen in Einklang bringt – und aus dem ganz neue Erfahrungen und Ideen entstehen können!
Naturverbunden unterwegs nach den Clean-Climbing-Prinzipien (Bild: Patagonia)
Nachhaltige Expeditionen sind keine Einschränkung – sie sind eine Bereicherung
Wer sich für eine nachhaltige Expedition entscheidet, erlebt die Natur nicht nur intensiver, sondern auch bewusster. Man reist nicht „nur“ zu einem Ziel – sondern trägt aktiv dazu bei, dass diese Ziele auch in Zukunft noch existieren. Denn draußen unterwegs zu sein, heißt nicht, sich von der Welt zu entfernen – sondern sich mit ihr zu verbinden.
Der Beitrag Expeditionen in Europa: Nachhaltige Vorbereitung für naturverbundene Abenteuer erschien zuerst auf Lilli Green.